Pedelecs und E-Bikes vom Discounter: Schnäppchen oder Sicherheitsrisiko?
Vorsicht Falle? So gut sind Discounter-E-Bikes

Warum ein E-Bike für 3000 Euro oder mehr kaufen, wenn beim Discounter um die Ecke Pedelecs schon ab 700 Euro angeboten werden? Solche E-Bike-Angebote von Discountern, Baumärkten und anderen fachfremden Geschäften klingen verlockend. Zumindest auf den ersten Blick. BikeX hat bei Marco Brust, dem Geschäftsführer des Fahrrad-Prüflabors velotech.de, nachgefragt, wie gut E-Bikes vom Discounter wirklich sind.

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Foto: pd-f

Pedelecs und E-Bikes erobern immer mehr die Herzen der Radfahrer. Das Angebot wird immer größer und damit auch unübersichtlicher, die Preisschere geht weiter auseinander: E-Bikes für 5000 Euro werden inzwischen als die neue Mittelklasse gepriesen. Doch wer mag in diesen unsicheren Zeiten so viel Geld ausgeben? Da wundert es nicht, dass Discounter, Baumärkte und andere fachfremde Händler mit günstigen Pedelec-Angeboten locken und auch immer mehr Kunden gewinnen können.

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Doch was ist dran am E-Bike-Traum aus dem Discounter-Regal? Marco Brust vom Prüflabor velotech.de bezieht Stellung.

Velotech-Chef Marco Brust
Velotech.de
Marco Brust, Geschäftsführer des Prüflabors Velotech.de

"Discounter-Bikes sind nicht per se schlecht."

BikeX: Herr Brust, sind Discounter- oder Baumarkt Bikes überhaupt zu empfehlen. Gibt es diesbezüglich im Hause velotech Erfahrungen?

Marco Brust: Grundlegend gesprochen kann man leider nicht alle über einen Kamm scheren und sagen: Discounter Bikes sind per se schlecht. Auch da gibt es gute und schlechte, wie im Fahrradfachhandel. Bei einem günstigen Rad fallen gewisse Ausstattungen einfach günstiger aus. Ausschlaggebend ist, wer diese Räder anbietet und was der Anspruch des Kunden ist. Per se alle Discounter Räder in Bezug auf die Qualität schlecht darzustellen, würde ich nicht unterschreiben wollen. In der klassischen Fahrradindustrie gibt’s wie auch bei den Elektrofahrrädern eine riesige Vielfalt. In anderen Industriezweigen, ob das jetzt die Motorrad- oder die Automobilindustrie ist, haben sich Lebenszyklen oder Interaktionsschleifen von 3 bis 6 Jahren bewährt. Dazwischen hat man mal ein Facelift, aber das Produkt an sich ist wirklich ausentwickelt. Der Fahrradbereich versucht seit Jahren, jedes Jahr auf der Eurobike das Rad neu zu erfinden. Das kann ich nicht ganz nachvollziehen. Für uns als Prüflabor ist das gut, weil immer wieder die Bauteile nachgeprüft werden müssen. Aber es gibt auch Hersteller – ganz allgemein gesprochen – die nur ein Teil der Prüfungen oder gar keine Prüfungen machen. Dann liegt das Problem einfach bei Kunden, der die Produkte im Prinzip für die Hersteller testet.Da gibt es jetzt teilweise doch den einen oder anderen Rückruf, der wirklich gravierend ist. Man sieht zum Beispiel, dass Steuerrohre abbrechen, weil die Kohlefaser-Materialien nicht richtig verwendet wurden. Oder Radschützer verwendet werden, die sich lösen oder verhaken und so weiter. Das sind alles eher kleine Probleme, die aber letztlich eine große Wirkung haben.Wir hatten einen solchen Fall mal bei einem S-Pedelec. Die Person war nach dem Unfall leider querschnittsgelähmt, weil sie so blöd gefallen ist. Was wir als Prüflabor sehen ist, dass die Fahrradindustrie vernachlässigt das Gesamtfahrzeug zu betrachten.

BikeX: Diesen Punkt haben wir beide schon öfters in unterschiedlichen Runden besprochen.

Marco Brust: Ja, aber das ist immer noch der Fall, weil sich die Fahrradindustrie bedauerlicherweise immer noch nur auf die Komponenten stützen. Ende des Jahres kommt die neue Maschinenverordnung, die bei den Elektrofahrrädern strenger als die aktuelle Maschinenrichtlinie ausfällt. Das ist noch einmal eine neue Hürde, die die Fahrradhersteller nehmen müssen. Auch die Batterieverordnung kommt jetzt neu. Diese wurde still und heimlich verabschiedet. Es geht darum, dass LEVs austauschbare Zellen haben müssen (Anmerkung der Red.: Das betrifft die sog LMTs, leichte Transportmittel wie E-Bikes und E-Scooter).

BikeX: Das führt uns von unserer ursprünglichen Frage weg. Man kann nicht grundsätzlich sagen, dass das E-Bike vom Discounter schlecht ist?

Marco Brust: Also grundlegend kann ich dazu sagen, dass es immer auf den Anspruch und den Einsatzzweck der Nutzer ankommt. Wenn man nur einmal im Monat oder sagen wir in den Sommermonaten 1 bis 2-mal zur Eisdiele mit dem Rad fährt und es sonst nicht nutzt, dann kann so ein Baumarkt- oder Discounter-E-Bike reichen. Was uns auffällt, dass man bei der Prüfung die normalen Normen heranzieht und sich eine EN 4210, die jetzt für normale Räder zählt, auf das zulässige Gesamtgewicht von 100 Kilo beschränkt ist. Die EN 15194 wurde vom Grundgedanken her nur für City-Räder für Großvater und Großmutter, die nichts mehr wirklich aus eigener Kraft Fahrrad fahren konnten, geschrieben. Der durchschnittliche europäische Mann hat mittlerweile ein Gewicht von 92 und die Frau von 78 Kilo. Das zulässige Gesamtgewicht ist dann schnell überschritten, wenn der Mann 92 Kilo und das Rad 25 Kilogramm wiegt. Und dies wird bei den günstigen Rädern leider nicht berücksichtigt.

BikeX: Bleibt man bei 100 Kilo Systemgewicht (Anmerk. der Red.: Rad + Fahrer + Gewicht), sind dann ja auch die Komponenten nur für diese Größenordnung ausgelegt.

Marco Brust: Richtig. Und was natürlich noch dazu kommt, ist die ganze Auslobung der einzelnen Nutzungsklassen. Das erschließt sich teilweise auch nicht. Wo darf ich denn überhaupt damit fahren?

BikeX: Können Sie das erörtern?

Marco Brust: Es gibt gewisse Nutzungsklassen, die mittlerweile in der neuen EN 4210 und in der EN 17404 niedergeschrieben sind. Diesbezüglich darf ein Cityrad nur auf asphaltierter Strecke fahren. Und dann gibt es teilweise Trekkingräder, die angeboten werden, die bedauerlicherweise auch nur für diese Kategorie getestet sind. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass mit einem Trekkingrad auch mal über Kopfsteinpflaster oder einen Schotterweg fährt. Dazu kommen Umwelteinflüsse: in Hamburg fahre ich das Rad natürlich unter ganz anderen Voraussetzungen wie wenn ich sie in den Alpen vorfinde. Sind’s in den Alpen die krassen Wetterumschwünge, ist in Meeresnähe die Luft salzhaltiger. Und dann korrodieren Komponenten, wenn es sich um minderwertige Qualität handelt. Was eben bei Discouterrädern aufgefallen ist. Hierzu gibt es mittlerweile einen Normen-Entwurf, nachdem sich Hersteller richten können. Da geht’s speziell um die Witterungseinflüsse direkt am Fahrrad und was diese für Auswirkungen auf das Material und/oder auf die Materialpaarung und so weiter haben.

BikeX: Herr Brust, worauf müssen wir denn nun beim Fahrradkauf konkret achten? Und zwar unabhängig davon, ob ich jetzt zum Discounter oder in den Fachhandel gehe?

Marco Brust: Man muss sich grundlegend darüber im Klaren sein, was man mit dem Rad vorhat. Will ich ein Rad nur für den urbanen Bereich, dass ich in der Stadt von A nach B komme? Und das vielleicht nur ein oder zweimal im Monat? Oder will ich dann auch mal eher und längere Strecken fahren? Kommt auch der drauf an, wo ich wohne. Dann sollte ich mir darüber im Klaren sein, was ich mit dem Rad alles transportieren möchte. Will ich einen Kindersitz oder einen Anhänger ziehen? Und so weiter. Viele bauen teilweise nur ein Körbchen hin oder Packtaschen auf den Gepäckträger hinten daran.

BikeX: Muss ich auf sicherheitsrelevante Bauteile, wie z. B. die Bremsen schauen?

Marco Brust: Also grundsätzlich ist bei den sicherheitsrelevanten Bauteilen darauf zu achten, auch wenn man sich für ein Rad vom Discounter interessiert, dass es Markenprodukte sind. Was in der letzten Zeit zum Teil aufgetreten ist, dass vieles kombiniert wird, auch bedingt durch die schlechte Liefersituation. Da wird eine Scheibenbremse vom Hersteller X mit Bremszange vom Hersteller Y kombiniert. Und dann funktioniert’s eben nicht. Aber grundlegend gesprochen: Die 5 Kontaktstellen am Rad (Anmerkung der Red.: Lenkergriffe rechts und links, Sattel und jedes Pedal) selbst sollten von einem namhaften Hersteller sein. Die sind sicherheitsrelevant, da sich der Mensch daran festhält, ebenso wie die Bremsen. Wenn wir jetzt von Elektrofahrrädern sprechen, ist auch der Antrieb und der Akku ein Thema. Es wird bei günstigen Rädern vom Baumarkt viel kombiniert. Das heißt, der Motor kommt von einem Hersteller, die Anzeige vom zweiten und der Akku vom dritten Hersteller. Und das führt unter Umständen zu Problemen. Daher ist darauf zu achten, dass die Antriebssystem-Komponenten von einem Hersteller kommen. Die sind abgestimmt und erprobt. Und das Gleiche gilt auch bei den Bremsen. Da verwendet man eine günstige Felgenbremse, die aber in der Kombination Bremshebel–Bremszange nicht zueinander passt. Ebenso sind die Materialpaarungen zu berücksichtigen, die jedoch vom Konsumenten meist schwer eingeschätzt werden können. Beispielsweise bei der Paarung Alurahmen / Stahl-Sattelstütze: Wie hoch ist da jeweils der Ausdehnungskoeffizient? Im Fahrradbereich wird viel geklemmt, und daraus ergeben sich dann auch Probleme: wenn bei Temperaturschwankungen die Sattelstütze plötzlich reinrutscht oder ein Lenker lose wird. Dann haben sie ein ganz großes Problem während der Fahrt. Anderer Punkt: Inwieweit gibt der Hersteller Schrauben-Anzugsmomente an? In der Fahrradindustrie bewährte sich dies über Jahre hinweg, dass das Drehmoment direkt auf den Bauteilen stehen. Das finde ich aber an Discounter-Rädern eher selten. Da muss man dann schon wirklich Glück haben, dass dies in der Bedienungsanleitung angegeben ist.Es ist weiterhin auch schwer, bei einem Discounter einen technisch versierten Verkäufer zu bekommen. An diesem Punkt kommen wir wieder auf den Anspruch zurück. Gegebenenfalls wäre es doch wichtig, mich von einem Fachhändler beraten zu lassen. Der geht auf die Anforderungen oder Wünsche des Kunden eher ein wie jemand, der heute einen Rasenmäher, kurz danach vielleicht eine Kettensäge und dann ein Fahrrad verkauft.

BikeX: Systemgewicht hatten sie bereits angesprochen, das ist ein wichtiger Punkt. Da mogelt sich unserer Erfahrung nach der eine oder andere ganz gern drumherum und man muss diese Daten teilweise konkret nachfragen. In den Unterlagen, die wir in die Redaktion bekommen, tauchen diese Angaben manchmal einfach nicht auf.

Marco Brust: Das glaube ich Ihnen. Bei den Elektrofahrrädern ist es so, dass die Maschinenrichtlinie dies vorschreibt. Es muss ein Typenschild vorhanden sein und diese wichtigen Informationen draufstehen. Wenn ein Elektrofahrrad kein Typenschild besitzt, darf es in Europa gar nicht verkauft werden. Dabei handelt es sich um ein ganz normales Typenschild, wie es auch für eine Maschine Pflicht ist. Da sind die wichtigsten Eckdaten drauf: zulässiges Gesamtgewicht, maximale Geschwindigkeit, Nenndauerleistung, der Hersteller, an den ich mich wenden kann. Kurzum: Beratung ist wichtig. Wenn der Kunde weiß, was er will, kann auch zum Baumarkt gehen. Wie vorher schon erwähnt, muss das Produkt des Discounters oder Baumarktes nicht schlecht sein. Es gibt aber auch günstige Räder im Fachhandel, der für mich die erste Wahl ist.

BikeX: Vielen Dank fürs Interview, Herr Brust!