Kommentar zum E-Bike Test der Stiftung Warentest
Pedelec-Test der StiWa: Unsere Meinung

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Erneut testete die Stiftung Warentest Pedelecs: diesmal prüften die StiWa-Tester zwölf komfortable Tiefeinsteiger. Die Ergebnisse überraschen teilweise. Wir haben uns den Test angeschaut und Stimmen gesammelt.

Prüfstandtest: Mit Sicherheitsreserven zum Fahrerlebnis
Foto: Pressedienst Fahrrad/Luka Gorjup

Seit dem letzten StiWa-Test vergingen zwei Jahre, nun testete die Redaktion der Stiftung Warentest für die Ausgabe 06/2020 erneut Elektroräder. Sahen in den vorangegangenen Tests die Hersteller der ausgewählten E-Bike stets Anlass zur Kritik ob der Testkriterien und deren Erörterung, darf man annehmen, dass die Tester nunmehr ihre Hausaufgaben ordentlich gemacht haben.

Mit 12 Tiefeinsteigern sind die Waren-Tester Anfang des Jahres quer über Mallorca gefahren und erweiterten den Praxistest mit einem Labortest. So sollte ein fachgerechter E-Bike-Test durchgeführt werden. Aber auch nach dem aktuellen Test zeigt sich die Branche erneut verschnupft und leitet teilweise rechtliche Schritte gegen die Stiftung aufgrund der Testergebnisse ein.

Das Prüfverfahren der StiWa

Der aktuelle Test, der im letzten Monat veröffentlicht wurde, fußt auf einem zweiteiligen Testprozess: Ein Praxistest, der auf Mallorca durchgeführt wurde und ein Labortest inklusive Prüfstandtest. Der Praxistest gliederte sich in einen Fahrtest, durchgeführt von erfahrenen Testenden, die Fahrverhalten mit und ohne Antrieb, Komfort, Schaltfunktionalität, Agilität, Fahr- und Motorgeräusche, Ansprechverhalten und Unterstützung des Antriebs sowie die Fahrstabilität ermittelten, sowie einen Handhabungsteil, bei dem Einstellarbeiten, Bedien- und Benutzerfreundlichkeit und die Gebrauchsanleitung überprüft wurden. Beim Labortest ermittelte die StiWa Test-Kriterien wie Reichweite, Sicherheit und Haltbarkeit. Die einzelnen Prüfkriterien listeten die Redakteure zusammenfassend auf, dennoch fällt das Nachvollziehen der einzelnen Testkriterien nicht ganz so leicht.

Praxistest auf Mallorca

Der praktische Fahrtest der 12 auf Komfort ausgerichteten Tiefeinsteiger fand auf Mallorca statt. Die Gegend eignet sich grundsätzlich ideal zum Radfahren und bildet auch topographisch viele Herausforderungen ans Fahrrad ab.

Die Frage drängt sich allerdings auf, ob ein Praxistest mit Tiefeinsteiger-E-Bikes auf Touren quer durch Mallorca als praxisnah erachtet werden kann? Was macht eigentlich die "Praxisnähe" aus? Die Kategorie der getesteten Pedelecs mit tiefem Einstieg nutzen erfahrungsgemäß überwiegend eine ältere Zielgruppe, oft für gelegentliche Ausflüge am Heimatort. Diese Zielgruppe reflektiert auch die StiWa, so wird im Interview auf Seite 74 darauf eingegangen, dass "Pedelec-Fahrer tendenziell eher älter sind". Ein paar Seiten weiter erfährt man: "Menschen im Alter von über 60 Jahren". Aha. Dies sollte also die Zielgruppe darstellen. Und wo bewegen immer muntere Best Ager diese Art von Pedelecs? Im Grunde überwiegend im Kurzstreckenverkehr. Dafür sind solche Alltags-Pedelecs von den Herstellern auch konzipiert.

Nirgends im Test finden wir einen Hinweis darauf, dass auch im urbanen Bereich getestet wurde. Dabei bietet Mallorcas Hauptstadt Palma hierzu gute Bedingungen, man muss sie nur nutzen.

Wendigkeit als positives Kriterium?

Weiterhin hinterlassen die beim Fahrtest beschriebenen Prüfkriterien mehr Fragezeichen als Antworten. Vorab sei angemerkt, dass z.B. die Beurteilung von Fahrverhalten im Rahmen eines praktischen Tests ein softes Prüfkriterium darstellt. Ergo kann die Beantwortung durch den jeweiligen Tester nur subjektiv erfolgen, echte Prüfkriterien gibt’s schlichtweg nicht. Dass die Tester ein agiles Rad von einem Geradeausläufer unterscheiden können, davon darf man bei erfahrenen Testern ausgehen. Fraglich jedoch ist, warum ein wendiges Rad eine bessere Bewertung bekommt als ein Rad, welches eher stoisch geradeaus fährt. Zielgruppengerechtes Testen heißt, die speziellen Merkmale einer zuvor festgelegten Zielgruppe sich zu eigen machen. Im hier vorliegenden Falle der getesteten Tiefeinsteiger – unter Berücksichtigung der Zielgruppe 60+ – ist erörterungswürdig, ob ein solches Rad überhaupt besonders wendig sein muss? Stellt ein stabiler Geradeauslauf für eine ältere sowie eher unerfahrenere Zielgruppe nicht eine geeignetere Fahreigenschaft dar als ein wendiges Rad, welches vom Pedaleur eine entsprechende Routine verlangt? Wir denken schon.

Ergebnisse beim Fahren mit und ohne Antrieb?

Auch Prüfkriterien wie Ansprechverhalten, Motorunterstützung unterwegs und Schiebehilfe sind nur bedingt messbar und bleiben in der Regel ein subjektiver Eindruck eines Testers. Widersprüchlich bleibt auch die Prüfung des Fahrverhaltens bei abgeschalteter Unterstützung. Zunächst bleibt hierzu festzustellen, dass bei allen getesteten Mittelmotor-Systemen im Falle des Ausschaltens der Unterstützung die Tretlagerwelle, Kurbel und Kettenblatt eine Einheit bilden. Das Innengetriebe des Motors koppelt sich mit der Konsequenz ab, dass der Innenwiderstand sich auf den minimalen Widerstand der Tretlagerwelle-Lager reduziert. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass beim Fahren ohne Antrieb das Gewicht des E-Bikes sehr wohl eine Rolle spielt, vor allem dann, wenn’s bergauf geht! Verifiziert man das Ergebnis, machen die beiden schwersten Pedelecs in diesem Punkt seltsamerweise eine deutlich bessere Figur als das zwei Kilo leichtere Qwic Premium. Das Pegasus Premio bekommt sogar mit Unterstützung beim Fahrverhalten eine befriedigende Beurteilung, demgegenüber beim Fahren ohne eine Gute?! Ob es Flügel bekommen hat?

Schalten am Berg

Im Artikel lesen wir: "Bergauf sind sie (Anmerkung der Red.: Nabenschaltungen) aber im Nachteil, da die Kraft aus den Pedalen genommen werden muss, um den Gang zu wechseln." Technisch betrachtet besteht eine Nabenschaltung aus einem Planetengetriebe, die einzelnen Kegelzahnräder müssen sich beim Gangwechsel jeweils neu sortieren, sodass dies grundsätzlich stimmt. Einschränkend ist aber anzumerken, dass etliche Antriebshersteller inzwischen eine sogenannte Schaltunterbrechung im Antrieb installiert haben, die beim mechanischen Gangwechsel der Nabenschaltung elektronisch den Zug von der Kette nimmt. Konsequenz: man kann mit unverminderter Kraft weitertreten, der Gangwechsel vollzieht sich mechanisch trotzdem sauber. So macht das z.B. Shimano.

Der im Bericht angesprochene Vergleich mit der Kettenschaltung hinkt: auch diese kann unter Volllast mechanisch nicht einwandfrei geschaltet werden. Es funktioniert zwar meistens, für Kette und Ritzel bedeutet es allerdings den vielzitierte Stresstest und reduziert bei regelmäßiger derartiger Nutzung deren Lebensdauer enorm, einen möglichen Kettenriss wollen wir an dieser Stelle nicht erwägen.

Eine vorausschauende Fahrweise verhindert hektische Schaltmanöver sowohl bei der Nabenschaltung als auch bei der Kettenschaltung und schont das Bike.

Rückschlüsse der Labortests

Weiterhin entnimmt man dem Test, dass die Stiftung Warentest auch einen gerafften 20.000 km Test auf einem Prüfstand durchgeführt hat. Wie und unter welchen Prämissen der Test durchgeführt wurde, bleibt offen. Fragmente des Testszenarios verrät der Trailer auf YouTube. In dessen Szenen der Rahmen "nackt", d.h. ohne Motor und Komponenten auf einem Prüfstand getestet wird. Nach Rückfrage bei der Fa. Velotech, einem der renommiertesten Testlabore für Fahrräder und E-Bikes in Deutschland, erläutert Geschäftsführer Marco Brust seine Ansicht eines fachgerechten Tests: "Das Fahrzeug sollte eine ganzheitliche Prüfung erfahren. Auch die Prüfung von Einzelteilen sollte deshalb in einem ganzheitlichen Zusammenhang stehen."

Der YouTube-Einspieler wirft folglich die Frage auf, ob der dargestellte Test den Prüfregeln der Technik entspricht. Wieviel davon ist mit gelebter Praxis vergleichbar? Weder im Testmagazin noch im Video ergibt sich eine schlüssige Antwort.

Solange das konkrete Prüfverfahren im Dunkeln bleibt lässt sich nur schwer nachvollziehen, ob die von der StiWa durchgeführten Prüfstandtests vom Belastungsablauf her mit dem freien Fahren eines Pedaleurs vergleichbar sind.

Risse ohne konkrete Beweisführung

So erkannten die Tester als Folge eines Labortests unter anderem Risse im Rahmen und der Sattelstütze. Zum Zeitpunkt der Feststellung der Risse hatte der Rahmen allerdings bereits 20.000 Prüfstand-km auf dem Buckel und war ja nicht mehr neu. Diese Tatsache wurde nicht erörtert. Diese feinen Risse wurden nachträglich mit Farbe sichtbar gemacht. Ob jedoch die abgebildeten Risse lediglich oberflächlicher Natur im Lack waren oder tatsächlich sich bereits im Rahmen- respektive Komponenten-Material gebildet hatten, darüber wird im Bericht spekuliert: Risse als sichtbare Schäden. Eine notwendige metallurgische Durchleuchtung der fraglichen Stellen, die zur Begründung der Behauptung aber zwingend erforderlich wäre, bleibt der Artikel schuldig. Die so generierte Beurteilung, dass die Rahmen (theoretisch) brechen, scheint zweifelhaft und beschädigt die betroffenen Hersteller unnötigerweise.

Stellungnahme von Fahrradproduzent Flyer:

"… FLYER AG kann die Kritik der Stiftung Warentest nicht nachvollziehen. Wie alle FLYER Rahmen wurde der beanstandete Rahmen, bevor dieser in den Verkauf ging, umfassend und kompromisslos getestet. Unser Verfahren der Qualitätssicherung schließt detaillierte interne und externe Tests inklusive Dauerbelastung aller von uns verbauten Rahmen ein. Wir weisen insbesondere auf das umfassende Testverfahren hin, dass der betroffene Rahmen bei einem renommierten, unabhängigen Testinstitut durchlaufen hat. Dort wurde der Rahmen nicht nur auf die weltweit anerkannte PedelecNorm EN 15194 überprüft, sondern in umfassenden Dauertests weit über die Norm hinaus getestet. Der Rahmen hat diese hohen, über die vorgeschriebene gesetzliche Norm hinausgehenden Prüfungen bestanden und die Freigabe für ein Gesamtgewicht bis 149kg erhalten. Sofern man das Gesamtgewicht nicht überschreitet und regelmäßige Wartungen professionell durchführen lässt, ist dieser FLYER Rahmen für 40.000 Kilometer sicher. Das getestete Modell ist seit mehr als zwei Jahren im Verkauf und es sind derzeit mehr als 10.000 dieses Pedelecs im Markt. Es ist uns kein Fall bekannt, bei dem sich ein Riss am Rahmen ergeben hat, wie er beim Test der Stiftung Warentest entstanden ist. Wir halten das Testergebnis für nicht ausreichend begründet und können es in keiner Weise nachvollziehen. Für die Sicherheit unserer Rahmen stehen wir voll und ganz ein."

Brandgefährliche Stecker

Die Glühdraht- und Kurzschluss-Prüfung der elektrischen Steckverbindungen führte zu Tage, dass die Modelle von Kalkhoff und Kettler mit "Mangelhaft" bewertet wurden. Bei diesem Prüfverfahren wird ein Glühdraht von 850°C am Kopf des Ladesteckers eingebracht und dessen Entflammbarkeit überprüft. Diesbezüglich erörtert der renommierte Fahrradhersteller Kalkhoff, dass seine Stecker sämtliche notwendigen gesetzlichen prüfrelevanten Tests bestanden hätten und kein einziger Fall eines dadurch verursachten Brandes fußend auf ihren Produkten bekannt sei. Ob ein derartiger Test für Pedelecs überhaupt praxisrelevant ist, scheint fraglich.

Unsere Meinung

Die vielfach nützlichen Tests der Stiftung Warentest besitzen hohes Ansehen in breiten Teilen der Bevölkerung. Diesem Anspruch sollten sich die Macher des ansonsten mehr als gut aufgestellten Magazins bewusst sein und ihre Tests dementsprechend fachgerecht und sinnvoll durchführen. Dann bleiben am Ende keine Fragen offen und die Verbraucher sind wirklich gut informiert.

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Jahresheft / 2023
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Erscheinungsdatum 04.04.2023